Die Landschaft, nach der sich Ihre Lunge sehnt
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Original Artikel Marika Schaertl für FOCUS
Wälder und Wölfe, Wasser und Wale: An der Westküste von Vancouver Island liegt Kanadas Urlaubs-Hotspot inmitten einer majestätischen Wildnis. Tofino ist ein Paradies für Naturliebhaber - und für alle, die dringend mal durchatmen müssen.
Vergangenen Sommer gab es genau zwei Ereignisse, die die Einwohner im beschaulichen kanadischen Örtchen Tofino aufgeschreckt haben. Erstens hatte ein Schwarzbär es sich an Loch neun auf dem Golfplatz gemütlich gemacht und dort seine Wohnstube eingerichtet.
Zweitens ließ der knackige Premierminister Justin Trudeau sich nach seinem Surf-Ausflug mit nacktem Oberkörper am beliebten Chesterman Beach blicken und fotobombte dort die Feierlichkeiten eines sich gerade selbst zelebrierenden Hochzeitspaars.
Wildlife pur im Naturreservat
Trudeaus Foto ging um die Welt und verhalf dem einstigen Fischerdorf an der Westküste von Vancouver Island kurzfristig zu weltweiter Aufmerksamkeit. Der zottelige Bär lebt immer noch auf dem Golfplatz. Und auch sonst ist in Tofino eigentlich alles wie immer.
The beauty & the beasts - die Naturschönheit Tofino und ihre Schwarzbären, Wölfe und Grauwale koexistieren miteinander am Tor zur Wildnis des Pacific-Rim-Nationalparks und des Clayoquot-Sound-Unesco-Naturreservats. Nicht mal, wenn gelegentlich ein Hollywood-Star wie Uma Thurman oder Robert Redford vom Drehset in Vancouver einen Abstecher nach Tofino macht, lassen sich die Tofitians beeindrucken.
Keine Shops weit und breit
Aus den Fugen gerät das Idyll ein wenig im Juli und August, wenn 20.000 Sommerfrischler aus aller Welt das 2000-Seelen-Städtchen und seine kilometerlangen sandigen Surf-Strände heimsuchen.
Diejenigen, die kommen, wissen in der Regel: Tofino, das Nest mit nur zehn Straßen und zwei Ampeln und den pittoresken gelben, dunkelroten und blauen Häuschen an der Hauptstraße, ist nicht für jeden gemacht. Nicht für Weicheier, nicht für eingefleischte Großstadtpflanzen und erst recht nicht für Manolo-Blahnik-Trägerinnen.
In Tofino trägt man Gummistiefel zum Holzfällerhemd, im Sommer bei milden 15 Grad auch schon mal Flipflops. Es gibt keinen Gucci-Store, nicht mal einen Tommy-Hilfiger-Shop und keinen Starbucks. Die einzige Marke, die am Ortsrand auf einem Werbeschild aufleuchtet, ist das Best-Western-Hotel - und das gehört kurioserweise einem First-Nation-Stamm, den Ureinwohnern des Städtchens.
Lässig, bescheiden und kulinarisch ein Highlight
Wer es nach Tofino schafft - entweder über 320 Kilometer von Victoria aus, British Columbias Hauptstadt, vorbei an dichten Wäldern, Seen und verschneiten Bergen, oder aber mit dem Kleinflugzeug binnen einer Stunde aus Vancouver -, der ist entweder Surfer, Abenteurer, Romantiker oder Gourmet.
Er paddelt mit seinem Board neben eben mal so auftauchenden Seelöwen, geht hiken, Bären jagen oder auf Whalewatching-Tour. Vor allem weiß er Tofinos Kombi aus der Lässigkeit eines Surfer-Ortes, der Bescheidenheit der Kleinstadt und dem kulinarischen Anspruch einer Metropole zu schätzen.
Eine Pilgerstätte für Gourmets
"Wer hierherkommt, muss den Sound der Natur verstehen können“, sagt Charles McDiarmid, dessen Familie schon in den 50er-Jahren Land in Tofino erwarb, kurz bevor Hippies aus Kanada und den USA mit ihren VW-Vans Tofino bevölkerten.
Heute ist der 60-jährige Charles Inhaber des Relais-&-Châteaux-Hotels "The Wickaninnish Inn“, das auf einem Felsvorsprung am offenen, aufbrausenden Nordwestpazifik liegt. Seit ein paar Jahren beherbergt das Hotel das Spitzenrestaurant "Pointe“, das den Ort zur Pilgerstätte für Foodies geraten ließ.
Inzwischen speist man auch anderswo in Tofino vortrefflich, zum Beispiel Szechuan Beef im "Wolf in the Fog“ oder Austern und Seafood im hippen "Shelter“. Im "SoBo“ trifft man sich zum Cocktail oder trinkt ein Craft-Bier in der "Tofino Brewery“.
"Hier lebt man am Tag"
Disco? Nö, gibt's nicht. Mehr Nightlife als die montägliche Kinovorführung oder die Sichtung eines Schwarzbären, der nächtens vorbei an den allgegenwärtigen "Vorsicht, Bären!“-Schildern durchs Örtchen schlurft, hat Tofino nicht zu bieten. Wozu auch, meint Daniela Petosa, italienischstämmige Keramikkünstlerin und Surferin: "Hier lebt man am Tag - mit der wilden, majestätischen Natur, den Wellen, den Winden, den Vögeln.“
Ob man in seinem Miethäuschen mit Blick auf den Ozean abends ein Elchsteak grillt oder sich zu irgendeiner Clique ans Beach-Lagerfeuer gesellt: "Bei uns macht man seine eigene Party“, sagt Tsimka Martin. Die Tochter des berühmten First-Nation-Botschafters Joe Martin führt Besucher aus Deutschland oder China in den von ihrem Vater gefertigten Einbaumkanus durch den Clayoquot Sound und erzählt ihnen die Geschichte der indianischen Ureinwohner.
"Hier macht man sich keinen großen Kopf um Dinge“, beschreibt sie das Verhältnis zwischen den First Nations und den Zugezogenen; im Pub oder bei einem der vielen Festivals übers Jahr (vom Food- bis zum Wal-Festival) würden alle miteinander ihr Bierchen trinken.
Die beste Reisezeit ist zwischen November und März
Damit sich aber auch Touristen wie echte Tofitians fühlen, empfiehlt Hotelier McDiarmid, zwischen November und März nach Tofino zu reisen. In allen Zimmern des "Wickaninnish Inn“ warten dann Regenjacken und Gummistiefel darauf, die Gäste aus der Kaminfeuer-Behaglichkeit des Luxus-Resorts nach draußen an den Strand in ein ganz spezielles Abenteuer zu begleiten: wenn Stürme stundenlang den tosenden Ozean aufpeitschen, sich zehn Meter hohe Wellen auftürmen und der Wind mit 80 Stundenkilometern über den nebelverhangenen Ort fegt.
Frank Schätzing hat das Naturspektakel in seinem Roman "Der Schwarm“ gewürdigt, die Macher der Vampir-Saga "Twilight“ hat es zu Dreharbeiten für die Folge "New Moon“ inspiriert. Charles McDiarmid beschreibt die Faszination der Wintermonate in seinem Tofino so: "Dr. Jekyll checkt aus - und Mr. Hyde checkt ein.“